Ein ganz alltäglicher Single (oder was man von Kontaktanzeigen zu halten hat)
Er mußte sich wohl bewegt haben. Auf jeden Fall war er mit irgend etwas von sich gegen die Flasche gekommen und hatte sie umgeworfen. Als er gestern abend schlafen gegangen war, hatte Specki noch eine Pulle Nordhäuser Doppelkorn gekippt und dann kurz vorm Einschlafen auf den Nachttisch gestellt, genau neben das halbvolle Marmeladenglas, in das er immer hineingöbelte, wenn er kein Taschentuch hatte oder zu faul zum Aufstehen war. Einmal hatte er sogar, Specki mußte grinsen, reingepieselt und nicht gemerkt, daß nicht alles reinpaßt. Erst als es ihm warm auf den Oberschenkeln wurde, er hatte im Bett kniend ins Glas gemacht, hielt er seinen Wasserwerfer über die Bettkante und ließ es auf den Bettvorleger laufen.
Naja, jedenfalls hatte er im Schlaf wohl die leere Flasche umgestoßen, die dann auf das Marmeladenglas gefallen war. Das laute Klirren und das merkwürdige Gefühl, als der kalte, ausgegöbelte Schmadder in sein rechtes Ohr lief, machten ihn vollends wach.
Mürrisch drehte sich Specki zur Seite und richtete sich auf. Das total verdreckte Laken blieb an ihm kleben. Mit Geräuschen, die an einen Klettverschluß erinnerten, zog er sich das Leinen langsam vom Wanst und wischte sich damit sein Ohr trocken. Nur im Ohr selbst mußte sich wohl ein richtiger Rotz-Pfropfen festgesetzt haben, den würde er nachher beim Frühstück rauspolken. Specki stieg aus seiner ranzigen Wichs-Buchte und stiefelte ins Bad. Als er am Klobecken vorbeikam, zog er erstmal die Spülung, damit Speckis gesammelte Würste einer Woche und was da sonst noch so kreuchte und fleuchte, nicht mehr so einen Gestank verbreiten konnten. Dann stellte sich Specki vors Waschbecken, hievte Sack und Säbel über den Beckenrand und betrachtete den unsäglichen Faltenwurf seiner runzligen Vorhaut. Von der sakralen Vollkommenheit eines Tilman Riemenschneider hatte die blöde Sau wohl auch noch nie was gehört. Stattdessen hing sie da - smegmatisch verklebt und verwurstelt, teilweise häßlich nach innen gestülpt, mit versifften Flusen im verkniffenen Maul. Er kannte das schon. Irgendwann würde er jetzt gleich losschiffen, und die schrumplige Vorhaut, die entfernt an das Gesicht unseres neuen Außenministers erinnerte, würde aufplatzen und die Pisse wie ein Rasensprenger in alle Himmelsrichtungen verteilen. Deshalb hatte er sich in letzter Zeit auch öfter für das Waschbecken entschieden, da ging nicht ganz soviel daneben. Während er also auf seinen Früh-Harn wartete, betrachtete sich Specki im Spiegel um festzustellen, welche Eitersterne über Nacht an seinem pickligen Gesichtshimmel aufgegangen waren. Das ging jeden Morgen so und machte weit mehr Spaß als Kreuzworträtsel, denn er versuchte immer, die hellen Fixsterne mit Kuli zu verbinden, so daß dabei Sternbilder entstanden. Oftmals mußte er sich auch neue Sternbilder ausdenken, weil er mit den herkömmlichen nicht mehr auskam. So hatten sich schon Konstellationen ergeben, die er „klaffende Möse“, „******säge“, „Radieschenfeld“ und „Lichtenrade nachts, beim Landeanflug auf Schönefeld“ genannt hatte. Was wird wohl diesmal am aknoiden Firmament erschienen sein fragte er sich, nicht ohne eine gewisse Neugier, im Verbund mit einem Schuß Vorfreude. Er brach den Kuli aus dem Zahnputzbecher los und verband ein paar gelbe und rote Hügel miteinander. Ooh, das versprach, hübsch zu werden. Rasch fügte sich das ganze zu einem fertigen Bild. Er sah aus wie „Döner komplett“. „Mit Soße ?“ und gab selbst die Antwort: „Ja, mit Soße“ und stach mit der Kulimine in die reichhaltigsten Soßenbeutel in seinem Gesicht und ließ das fettig-gelbe Dressing über seinen Gesichtsdöner laufen. Als auch ein bißchen Blut hier und da mit herauslief sagte er versöhnlich: „Ja, auch scharfe Soße.“
Es versprach, ein guter Tag zu werden. Er nahm seine Zahnbürste, feuchtete sie ein wenig unter kaltem Wasser an und fuhrwerkte solange damit zwischen seinen verpickelten Arschbacken hin und her, bis zumindest einigermaßen der zähe Filz aus Haaren, Kot und Hämorrhidenblut aufgeweicht war. Das war wichtig, denn wenn er das nicht regelmäßig tat, hatte er immer, wenn er sich irgendwo hinsetzte, in der Kimme so ein Gefühl, als ob ihm jemand ein Pflaster abreißen würde.
Dann polkte er alles an Haaren und Schietekrümeln aus der Bürste und drückte aus einer abgegriffenen Tube etwas „Rot-Weiß“ drauf. Damit putzte er dann seine Zähne, die zusammengenommen eine Fußballmannschaft ergaben, nur daß sie von der Farbe her alle Schiedsrichter hätten sein können.
Danach sprang Specki in seinen abgewetzten, alten NVA-Trainingsanzug, den er als Freizeitkleidung verwendete und ging in die Küche Kaffee machen. Er nahm zwei Eßlöffel Kaffee Albrecht Silber, tat sie in eine Tasse, aus der er vorher noch die getrockneten Suppenreste klopfte, und ließ etwas kaltes Wasser drüberlaufen. Er rührte sorgfältig um und goß das Wasser durch ein Sieb in eine andere Tasse. Eine Packung Zückli und einen Schuß Buttermilch dazu, fertig war der sportive Frühstücksdrink für Schnellstarter. Er setzte sich auf seinen Küchenstuhl und steckte sich eine Zigarette in Brand. Genüßlich nahm er tiefe Züge und kratze sich dabei den fettigen Schmand aus der speckigen, schwitzigen Bauchfalte. Als er zu Ende geraucht hatte, drückte er die Zigarette auf seinem Hamster aus, den er neulich aus einem Haufen Kotze zu retten versucht hatte. Im Dunkeln hatte er nicht erkennen können, worauf er gebrökelt hatte, aber das Quieken hatte ihn schließlich doch stutzig gemacht und er knipste das Licht an. Zu diesem Zeipunkt bewegte sich Helga noch, wenn auch etwas schwerfällig unter der Flut aus halbverdautem Wurstgoulasch und mehreren Büchsen Oetinger. Als er dann versuchte sie abzuspülen, muß er sie wohl zu lange unter das heiße Wasser gehalten haben und Helga verstarb.
Als Erinnerung hatte er sie dann trocken gefönt und neben seinen Computer gelegt. Von Zeit zu Zeit drückte er eine Zigarette auf ihr aus um sie so schonend zu konservieren.
Apropos Computer: Heute war ja Sonntag und Specki hatte frei: Zeit eine Kontaktanzeige in der Zitty aufzugeben um seinem Single-Dasein, wenigstens temporär, ein Ende zu setzen. Guter Dinge setzte er sich an seinen Schreibtisch und hämmerte drauflos:
„Adonis, vielseitig gebildet, sportlich, beruflich erfolgreich (Unternehmer), gepflegte Erscheinung, mit Sinn fürs Häusliche. Nichtraucher, Nichttrinker sehr tierlieb und offen für alles Schöne sucht Sie, tolerant, Alter und Aussehen egal, mit eigener Wohnung.“
Ein paarmal hatte es ja schon geklappt, freute sich Specki, wenn auch immer nur für sehr kurze Zeit ...
