Karneval

Avariel

Erfahrenes Mitglied
Und hier, anlässlich des jährlichen Treffens der Irren und Debilen, ein kleiner Text von Stefanie Teufel:


Ab 6:59 wird zurück geschunkelt!
von Stefanie Teufel

Jeder Jeck es anders ...aber immer schei****. Ich merke das immer deutlicher, je näher ich dem Hort des Grauens komme. Und es gibt kein Entkommen. Von wohlmeinenden Freunden in eine rosa Plastikhülle gezwängt ( "Wenn Dich einer fragt, sagst Du einfach 'Ich bin ein Ganzkörper-Kondom'" - sind das wirklich meine Kollegen?) - taumele ich betäubt zur Richtstätte, äh, Feststätte. Schon ca. 3 Kilometer vor der dem Gürzenich (für all diejenigen, denen ein Besuch - und sei es ein virtueller via Flimmerkiste - in dieser Lokalität bisher erspart geblieben ist: Das ist so eine Art "Köln Arena" für ganz Arme, auch außerhalb der Session) wird mir klar, dass meine improvisierte Wurstpelle noch nicht das Ende der nach unten offenen Kostümskala darstellt.
In trauter Geschmacklosigkeit streben lemming-artig feurige Zigeneurinnen mit Kleidergrösse 56 begleitet von Kavalieren, die mir Fred Fussbroich schlagartig als deutschen Keanu Reaves erscheinen lassen, dem organisierten Frohsinn entgegen. Denn es ist Karneval in Köln. Eine Zeit kollektiven Wahnsinns deren kulturelle Höhepunkte (die sogenannten Prunk- oder Fernsehsitzungen) den Spruch der Deutschen als dem Volk der Dichter und Denker, zur besten Pointe des Abends werden lassen.
Rund 500 Meter vor dem Eingang mischen sich zu allem Unglück nun noch mehr oder minder (okay, nur minder) grazile Prinzessinen, Indianerinnen und Spanierinnen ins bunte Treiben. Und da "Die Schöne und das Biest" noch immer der Deutschen liebstes Musical zu sein scheint, geben die männlichen Begleiter letzteres - wenn sie denn verkleidet wären.
Am Eingang werde ich von so umwerfenden Partykrachern wie Luftschlangen, Konfetti und Ballons begrüßt. Dinge, die schon in den 70ern nicht mehr lustig waren. Aber hey, das ist Köln, das ist Karneval, das ist geil. Denken zumindest die beim WDR, weshalb wir auch mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit diese Karnevalssitzung der Ortsgruppe "Die Lustigen Chorweiler von 1999 e.V." als Highlight zur besten Sendezeit im Fernsehen werden bewundern dürfen.
30 Minuten später. Wir haben endlich die Garderoben erreicht. Hier werde ich von einem besonders fetten Funkemariechen fast zerquetscht. Ich suche erst einmal die Toiletten auf. Oh Gott, selbst die Klofrau hat ein Hütchen auf. Mir wird schlecht. 10 Minuten später. Die Aussicht gleich in den Saal zu müssen, aus dem diese seltsamen Klänge bis hierher - meinem vermeintlich letzten Ausweg - klingen, lässt mich nun auch noch den Rest meines Abendessen der Kölner Kanalisation anvertrauen.
Auf der Treppe in den Veranstaltungssaal (endlich weiss ich, wie sich Marie Antoinette auf dem Weg zum Schafott gefühlt haben muss) werde ich von einer Gruppe angetrunkener Clowns genötigt, fest untergehakt in rythmische Links-Rechts-Bewegungen einzufallen, die entfernt an autistische Heimkinder erinnern. In Köln nennt man das auch "Schunkeln". Mir wird schon wieder schlecht.
Der Saal selbst ist eine besonders farbenfrohe Version der Vorhölle. Widerlich grinsende Clowns-Gesichter, bunte Girlanden wohin man schaut. Alles gekröhnt von einer monströsen Bühne, die mich schon jetzt höhnisch angrinst. Langsam wird mir alles egal, so dass ich die erste Karaffe "Kalte Ente" ( 1/2 Liter Weisswein aus dem 10 Liter Kanister, 3 Kilo Zucker, etwas Rotkäppchen-Sekt, eine Brise Aceton, macht 153,50 DM) auf ex herunterkippe. Und noch eine. Ich werde schläfrig. Mit etwas Glück werde ich diese mir so grausam auferlegte Prüfung verschlafen...
Tätää, Tätää, Tätää und Klatschmarsch. An Schlaf ist nicht mehr zu denken, denn unter dem ohrenbetäubenden Lärm der apokalyptischen Posaunen, Pauken und Trompeten, ziehen in einer schier unendlichen Reihe erwachsene Männer (?) in seltsam bunten Uniformen, mit schlecht-sitzenden Hosen, weißen Perücken und vielen Federn auf ihren komischen Mützchen in den Saal ein. Gut, auch für mich ist diese Veranstaltung Krieg, aber muss man wirklich in solch tuntigem Outfit in die letzte Schlacht ziehen Aber hey, das ist Köln, das ist Karneval, das ist geil. Das sind *unsere* Funken. Weshalb es diese unmusikalischen Schwuchteln auch gleich in allen Farben gibt. Man nennt sie dann so wahlweise wie originell "blaue Funken", "rote Funken"...
Drei kalte Enten und diverse Funken später betritt ein komischer kleiner Mann ein Fass (wieviel kalte Enten da wohl reingehen?), das sich laut des Leicht-Matrosen rechts von mir "Bütt" nennt. Ohne jedes Schamgefühl erzählt er mit leiernder Stimme Häschenwitze, für die selbst Kinder normalerweise erschossen werden. Aber hey, das ist Köln, das ist Karneval, das ist geil. Hier macht es die Masse und nicht die Klasse, so dass sämtliche Zigeunerinnen, Prinzessinen, Indianerinnen und Spanierinnen entfesselt Zugabe brüllen. Der Papst hat doch recht. Die Hölle existiert wirklich. Und ich stecke mittendrin. Ich muss mich erneut übergeben gehen.
Diverse Funken und drei weitere Enten (mittlerweile nicht mehr kalt, sondern warm) später beginnen die mich umgebenden, nicht nur potentiellen Heim-Insassen, aus der mir mittlerweile schmerzvoll vertrauten Schaukelbewegung heraus auf die Stühle zu klettern. Gut, "auf die Bäume ihr Affen" macht Sinn, denke ich mir, bis mir bewusst wird, dass auch die schlimmsten Albträume Wirklichkeit werden können, denn schon aus der Ferne höre ich "Die Karawane zieht weiter" - nur nicht an diesem Saal vorbei...
Als ich heute morgen schreiend in meinem Krankenhaus-Bett erwachte - kurzfristig dachte ich, die mich angrinsende Schwester Hildegard, wäre eine von *IHNEN* und ich wäre noch dort - erzählte man mir, dass ich bei "O la la, willst Du eine Pizza" zusammengebrochen bin. Und seitdem weiss ich: Der liebe Gott ist Italiener.

Also ihr Faschingsmuffel, machts wie ich: Vergrabt euch in euren Kellern, legt die Stahllamellen vor die Fenster, verbarrikadiert die Türen, und legt ne Tutorials.de-Dauersession ein!

cya
Avariel
 
Es ist Sonntag der 10.02 ich sitze in meiner Burgfestung zu Berlin. Alles scheint ruhig; ein ganz normaler Sonntag. Ich schaue über meine Ländereien. Auf einmal schellt die Glocke es ist Hiob mein Bote. Er übergibt mir eine versiegelte Schriftrolle. Sie kommt aus der schwarzen Zone bei Köln. Mit zitternden Händen Breche ich das Siegel und entrolle die Nachricht. Es ist eine grauenvolle Nachrticht. Die Frontlinien wurden von den Jecken-Reitern durchbrochen. Sie metzelten meine Leute blutig nieder und brüllten ihren Schlachtruf: ALAAF ALAAF.
Ich setze mich hin und denke: Ich muss fliehen, ich bin hier nicht mehr sicher. Hiob sagt sie stehen kurz vor der Stadt. Ich renne den Hauptturm hinauf und zücke mein Fernrohr. Der anblick der sich meinen Augen bietet ist schlimmer als erwartet. Mitten in Berlin ein Karnevalsumzug. Ich hole Tief luft denke an die meinen und die Zukunft die ich nicht mehr erleben werde. Ich Springe und merke wie die wärme aus meinem Körper weicht.

Karneval Sucks
 

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